Samstag, 27. März 2010
Veränderungen
Die "Entgiftung" ist die Zeit, in der der Körper die letzten Reste des Alkohols los wird. Dieser Teil des Entzugs soll 8-14 Tage dauern, ich bin also mittendrin. Und ehrlich gesagt, ich hatte es mir schlimmer vorgestellt. Ich bin leicht nervös, habe ganz leichte Kopfschmerzen und erwische mich wie ich mit den Zähnen knirsche. Ich fühle mich schlechter wenn ich mal eine Woche Kaffee sein lasse.
Dagegen spielen die positiven körperlichen Veränderungen geradezu in einer anderen Liga. Die Konzentration kam wieder, wird aber im Moment etwas von der Nervosität überdeckt. Meine Aufmerksamkeit ist wieder da, ich bin nicht mehr so Antriebslos, verdammt, ich habe sogar minimales Selbstbewusstsein zurück. Das ist sowieso eine der schlimmsten Dinge am Alkoholismus wenn ihr mich fragt. Weil man sich so fertig fühlt, sieht man auch so aus. Oder man glaubt, dass man so aussieht. Und deshalb fühlt man sich irgendwie immer minderwertig, als sein man zwischen den ganzen normalen Menschen ein kaputtes Überbleibsel, das aus der Masse heraus steht wie ein Goth auf einer Schlagerparty. Vor allem wenn man den Alkohol beschaffen will und die Flaschen auf das Laufband legt, fühlt man sich wissend angestarrt. Vom Kassierer, von den Kunden vor einem, von den Kunden nach einem an der Kasse. Alle wissen, dass du klein, traurig und fertig bist. Und das macht einen dann tatsächlich fertig. Wenn ich jetzt mit ganz durchschnittlichen Einkäufen an die Kasse trete, ist das wiederum für alle anderen eine völlig alltägliche Sache, für mich ist es ziemlich großes Ding. Ich stehe wie ein normaler Mensch an der Kasse und niemand kann mir von Außen ansehen was für ein kaputter Typ ich bin. Da hält man seinen Kopf automatisch ein paar Millimeter höher.
Ich habe auch vergessen, wie man sich "ganz normal" fühlt. Wenn man einfach nur vor sich hin lebt. Wenn man normal isst, Wasser trinkt und ansonsten seinem Alltag nachgeht. Erst jetzt, wo die Erinnerung zurück kommt, kann ich beurteilen wie dreckig es mir auch körperlich ging, von der Seele ganz zu schweigen. Ich hatte ein gewisses "Grundrauschen" an Schmerzen. Die Verdauungsapparat war permanent in Aufruhr, die Hälfte der Zeit hatte ich Rücken/Muskel/Sonstige Schmerzen, die andere Hälfte der Zeit war mir übel oder ich stolperte Koordinationslos vor mich hin. An besonders schlechten Tagen ging alles zusammen, dann wünschte ich mir oft den Tod. Nicht um die aktuellen Schmerzen zu beenden, sondern weil ich wusste, dass ich mich auch weiterhin so zurichten würde. Und dass mich in Zukunft immer öfter ein ähnlicher Zustand erwarten würde.
Jetzt ist all das wie verschwunden. Das mit der Verdauung ist noch nicht wieder völlig im Griff, aber um mehrere Klassen besser als vorher. Der Kopf ist wieder frei, der Körper erholt sich und die Psyche heilt. In der letzten Woche - ich wage es kaum zu sagen - war ich ein oder zwei Mal tatsächlich etwas glücklich. Über mich selbst, dass ich doch noch einen Versuch gewagt habe, dass ich nicht schon wie üblich nach zwei Tagen den Mut verloren habe, dass es mir körperlich besser ging, dass ich wieder genug Konzentration hatte um ein Buch anzufangen, dass ich mal wieder ein paar Blogs gelesen habe. Es sind nur kleine, flüchtige Glücksmomente. Aber sie sind da, und vielleicht bleiben sie.
Was mein Bedürfnis zu trinken angeht würde ich lügen, wenn ich behaupten würde, komplett frei von Rückfallgedanken zu sein. Es ist aber wirklich anders als früher, das rede ich mir nicht nur ein. Früher dauerte es 3-4 Tage, bis sich abends ein deutliches Verlangen einstellte. Am nächsten morgen war mein erster Gedanke dann immer sofort "Trinken!". Ich tat, was ich zu erledigen hatte, nicht ohne meine Gedanken auch nur einmal vom Abend lösen zu können. Im Laufe des Tages steigerte ich mich dann immer mehr rein und konnte mich schließlich nicht mehr beherrschen.
Jetzt ist es anders. Natürlich denke ich noch öfter mal an Alkohol, die Sucht verschwindet schließlich nicht einfach so plötzlich wieder. Vor allem wenn ich jemanden Alkohol trinken oder kaufen sehe, habe ich ein Gefühl, dass sich verbal nur mit "Hach ja..." beschreiben lässt. Gestern habe ich irgendwo Jamie Oliver ein Bier trinken sehen, das war eine solche Situation. Im Gegensatz zu früher lässt mich der Gedanke aber sofort wieder los. Ich denke daran wie gut es mir geht und stelle fest, dass ich genug hatte. Und die Sucht akzeptiert das. Ohne zu murren. Sie versucht mich nicht mehr zu zwingen, das Vor und Wider abzuwägen um schließlich die Oberhand zu gewinnen. Mein Ich sagt "Nein" und meine Sucht sagt "Okay".
Sie weiß, dass ich genug zu trinken für mehrere Leben hatte.
Donnerstag, 18. März 2010
Updates
Guten Abend. Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass ich dieses Blog irgendwann wieder reaktiviere. Ich musste sogar einige Male Passwörter raten, bis ich mich wieder einloggen konnte. Nun, es haben sich ein paar Dinge geändert, die ich erzählen möchte.
Nach dem letzten Eintrag war ich sicher, dass ich noch ein paar Monate oder Jahre weiter trinken würde, bis ich schließlich mit den Füßen voran aus der Wohnung getragen werde. Vielleicht hätte ich mich auch irgendwann in einem spontanen Anfall von Lebensmut zum Arzt geschleppt, wer weiß. Auf jeden Fall hatte ich alle Hoffnungen aufgegeben. Die Grundlagen meines Lebens hatte ich soweit im Griff, verbrachte den großen Teil meiner Freizeit mit Alkohol, dachte nicht weiter über die Zukunft nach (bzw. versoff diese Gedanken gezielt) und wartete einfach mal so ab.
Die trockenen Phasen wurden weniger, ich setzte eigentlich nur mal 1-2 Tage aus, wenn ich etwas wirklich wichtiges zu tun hatte und mir keinen Kater erlauben konnte. Kurz gesagt: Mir war völlig bewusst was auf mich zukam, wusste dass ich nichts ändern konnte und ließ es geschehen.
Bis vor etwa zwei Wochen etwas passiert ist. Mir gings körperlich langsam schlechter, ohne Zweifel durch den ganzen Müll, flüssig oder fest, den ich ständig konsumierte. Eines Tages stand ich gegen 10 auf und mir ging es ziemlich übel. Nicht Kater-übel, sondern irgendwie so als hätte ich einen Liter Salatdressing getrunken. Nicht dass ich wüsste wie sich das anfühlt, aber so stelle ich es mir vor. Der Magen grummelt, Übelkeit, ein leichter Schleier über der Welt. Seltsam auf jeden Fall, ein Kater war es nicht.
Als es nach 2 Stunden nicht besser wurde, steckte ich mir einen Finger in den Hals, das kann in solchen Situationen ja helfen. Kaum vorne über gelehnt musste ich nicht weiter nachhelfen, ich kotzte eine schwarze Suppe in die Kloschüssel.
Schwarz? Hä? Ich hatte seit zwei Tagen keinen Kaffe getrunken. In dem Moment fiel mir ein dass ich mal gelesen hatte, dass sich altes Blut schwarz färbt und eine kurze Recherche bestätigte die Befürchtung. Irgendwas in mir schien also zu bluten.
Ich erschrank mich zwar ordentlich, aber zum Arzt ging ich nicht. Wenn es jetzt passieren sollte, meintwegen. Ich ging zurück ins Bett, ohne zu wissen ob ich wieder aufwachen würde.
Zwei Tage später ging es mir etwas besser und noch einen Tag später fing ich wieder an zu trinken, aber es war anders. Ich bekam gar nicht erst so viel rein wie früher. Nach ein paar Bier war mir schon schlecht und ich wich wieder auf harten Alkohol aus um wenigstens einen anständigen Rausch hinzukriegen. Aber auch der ließ zu wünschen übrig, es knockte mich nur aus. Es war irgendwie zur anstrengenden Pflicht geworden. Oder anders gesagt: Es ging mir mit mehr Alkohol über den Abend eher schlechter als besser.
Letzten Samstag lag ich etwas angetrunken (d.h. noch halbwegs nüchtern) auf dem Sofa und stellte fest: "Ich will überhaupt nicht mehr weiter trinken." Ich hatte genug. Am Tag danach hatte ich noch genug Alkohol über, also "versuchte" ich es nochmal mit einem ähnlichen Resultat. Ich mochte nicht, hatte genug, es langweilte mich. Wieder hörte ich auf, ging ins Bett und bin seitdem nüchtern. Die restlichen paar Bier stehen hier und ich habe keinerlei Bedürfnis sie zu trinken.
Nun, bevor ich mich enthusiastisch über eine Wunderheilung freue muss ich natürlich wieder Objektivität walten lassen und mich so neutral wie möglich betrachten (was ich für eine besondere Fähigkeit von mir halte).
Ich bin klassisch in der sog. "kritischen Phase". Zu dieser Phase gehört es unter anderem, dass man sich durch Abstinenzphasen davon zu überzeugen versucht, dass man noch alles unter Kontrolle hat. Zitat: "Die Fähigkeit zu temporärer Abstinenz besteht meist noch, und Trinkpausen nähren die Illusion, alles 'im Griff' zu haben, obwohl dem schon seit geraumer Zeit nicht mehr so ist."
Oberflächlich gesehen repräsentiert dieses Blog genau dieses Verhalten. Ich würde das aber differenzierter sehen. Ich habe mir nie der Illusion hingegeben, dass ich noch alles im Griff habe weil ich mal eine Woche nichts getrunken habe, ganz im Gegenteil. Ich wusste ganz klar, dass ich wenig bis keine Kontrolle habe. Ich war mir dessen sogar so sehr bewusst, dass ich mit Gewalt versucht habe aufzuhören, weil ich wusste dass mir sonst bald auch der letzte Rest Selbstbeherrschung verloren gehen würde.
Wahrscheinlich würde mir jetzt jeder halbwegs erfahrere Therapeut erzählen dass er diese Rationalisation ständig hört, und ich will auch meine Handlungen, die Rechtfertigungen oder die Illusionen denen ich mich hingebe nicht analysieren. Alles was ich weiß ist, dass ich seit Montag morgen nüchtern bin und keinerlei Wunsch verspüre mich zu betrinken. Das wird sich vermutlich ändern, nicht ohne Grund nennt man es eine Sucht. Ich bin gespannt darauf, ob sich der erwartete psychische Druck auch in einem Wunsch zu trinken ausdrückt. Ich hoffe jedoch, dass sich meine ehrlich empfundene Ablehnung eventuell durchsetzt. Vielleicht ist es für einen gesunden Menschen schwer zu verstehen wie sich diese beiden Dinge sich überhaupt abgrenzen, ich vermag es auch nicht ausreichend zu erklären.
Ich habe versucht einen Chat o.ä. zu finden, wo sich Alkoholiker treffen. Ich denke dass es mir hilft, wenn ich mich vor jemandem rechtfertigen muss. Wenn ich jeden Abend bestätigen muss, dass ich immer noch nüchtern bin. Irgendwie scheint es so etwas nicht zu geben, alles zielt auf persönliche Treffen in AA-Gruppen hin. Das wird für mich nicht passieren. Nicht zuletzt weil mir dieser religiös-submissive Unterton zuwider ist. Bin ich der einzige, der zwar darüber reden will, aber die perfektionierte Anonymität des Internets der "Ich sage einfach dass ich Peter heiße"-Anonymität vorzieht?